Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL) – Soft Law als harte Währung in stürmischen Zeiten
„Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL) – Soft Law als harte Währung in stürmischen Zeiten“
„Das Rückversicherungsrecht schafft Rechtsunsicherheit; der Rückversicherungsvertrag perpetuiert sie; die richtige Rechtswahl beseitigt sie.“
Seit Oktober 2015 arbeitet eine internationale Forschungsgruppe – unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Heiss, Universität Zürich, und Prof. Dr. Manfred Wandt, Goethe-Universität Frankfurt – bestehend aus Praktikern und Wissenschaftlern an den Prinzipien des Rückversicherungsvertragsrechts (Principles of Reinsurance Contract Law – PRICL). Ziel der PRICL ist es, das Rückversicherungsvertragsrecht transparenter und rechtssicherer zu gestalten. Die von Forschungsgemeinschaften aus Deutschland (DFG) und der Schweiz (SNF) geförderte Gruppe kooperiert mit dem International Institute for the Unification of Private Law (UNIDROIT). Die PRICL basieren auf der Grundlage praktischer Erfahrungen der Advisory Groups (Rückversicherer, Erstversicherer und Rückversicherungsmakler) sowie der Special Advisors und bilden so die Rückversicherungspraxis ab.
Das Rückversicherungsrecht ist bislang nur sehr unzureichend erforscht – bemängelt werden rechtliche Intransparenz sowie Rechtsunsicherheit. Insbesondere existiert kein internationales oder supranationales Rückversicherungsvertragsrecht; nationale Vertragsrechte enthalten regelmäßig keine einschlägigen Regelungen. Im deutschen Recht schließt § 209 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) die Anwendbarkeit der VVG-Vorschriften für das Rückversicherungsrecht aus. Konflikte werden, wenn überhaupt, vor Schiedsgerichten ausgetragen, deren Urteile nicht veröffentlicht werden – mithin mangelt es an auszuwertender Rechtsprechung. Das bisherige Modell eines gentlemen’s agreement, das auf nur wenige vertragliche Regelungen beschränkt ist, wird den Anforderungen des modernen Rückversicherungsmarkts nicht mehr gerecht. Nicht zuletzt hat die durch Solvency II intensivierte Beaufsichtigung zu einem erhöhten Interesse an einem rechtssicheren und zugleich (ökonomisch) werthaltigen Rückversicherungsschutz geführt (vgl. § 298 Abs. 3 VAG).
Die PRICL bieten den Vertragsparteien im internationalen Rückversicherungsrecht erhebliche Vorteile: Als wählbares Soft Law schaffen sie einen praktischen Rahmen für die Rechtsanwendung, bieten größere Rechtssicherheit und sind parteineutral. Zudem sind sie ihrerseits dispositiv, so dass sie auch nur teilweise oder inhaltlich modifiziert Anwendung finden können. Bei nicht den PRICL unterliegenden rückversicherungsvertraglichen Streitigkeiten können sie als Leitlinien für Gerichte und Schiedsgerichte fungieren (so auch bereits geschehen). Ergänzt werden die PRICL von den PICC (Principles of International Commercial Contracts) von UNIDROIT, die Regelungen für allgemeine Fragen des Vertragsrechts von Handelsverträgen beinhalten. Mit den PRICL und den PICC können die Parteien ihre Vertragsbeziehung somit umfassend transnationalem Recht unterstellen.
Die PRICL bestehen bis dato aus fünf Teilen: Allgemeine Vorschriften, Pflichten, Rechtsbehelfe, Schadenallokation und Schadenaggregation. Obwohl sie die zentralen Regelungsbereiche eines Rückversicherungsvertrags abdecken, stellen sie bewusst keine umfassende Kodifikation des Rückversicherungsvertragsrechts dar. Die Rückversicherungspraxis ist nicht auf ein geschlossenes System dispositiver Regelungen angewiesen.
Von zentraler Bedeutung für die Rechtspraxis ist das zweite Kapitel (Chapter) der PRICL, welches die Pflichten beider Parteien regelt. Neben den allgemeinen Pflichten in Section 1 wird in Section 2 des Kapitels die vorvertragliche Anzeigepflicht des Erstversicherers behandelt, bei der eine rückversicherungsspezifische Sonderbehandlung erforderlich ist. Section 3 beinhaltet sodann die Pflichten des Erst- und Rückversicherers während der Vertragsdurchführung, zu denen Prämienzahlung, Vertragsdokumentation, Anzeigepflichten und das Inspektionsrecht des Rückversicherers zählen. Zuletzt werden in Section 4 die Pflichten während der Schadensbearbeitung und Leistungserbringung gesondert thematisiert. Hinzukommen in Kapitel 3 die Regelungen über die Rechtsbehelfe bei Pflichtverletzungen. Die PRICL priorisieren als Grundsatz die Aufrechterhaltung des Vertrags, so dass die einseitige Loslösung vom Vertrag durch Kündigung nur unter strengen, qualifizierten Voraussetzungen vorgesehen ist. Kapitel 4 und 5 beschäftigen sich mit der Schadenallokation und -aggregation.
Die PRICL müssen sich in der Vertragspraxis noch etablieren. Statt bisheriger vager Handelsbräuche bieten sie beim Vertragsschluss ausformulierte und erläuterte Modellregelungen. Insgesamt soll eine Vereinfachung der Vertragsgestaltung erreicht werden.
Weitere Modellregelungen zu spezifischen, bisher noch nicht adressierten Fragen des Rückversicherungsvertragsrechts werden derzeit in der zweiten Phase des Forschungsprojekts erarbeitet. Die Fertigstellung der zweiten Phase ist im Jahr 2024 zu erwarten. Die PRICL sowie weitere Informationen zu dem Forschungsprojekt finden Sie hier: www.ius.uzh.ch/en/research/pricl.html.
(Autor: Gerrit Lüders)
Literaturhinweise:
- Bork, Kevin, Tension of Reinsurance: die Folgepflicht des Rückversicherers im Licht des Regulierungsermessens des Erstversicherers, Mohr Siebeck, Tübingen 2020.
- Bork, Kevin / Wandt, Manfred, Disclosure Duties in German Insurance Contract Law, German National Report, World Congress of the International Insurance Law Association (AIDA) 2018, ZVersWiss 2020.
- Bork, Kevin / Wandt, Manfred, Mehr Rechtssicherheit in der Rückversicherung – Ein Einblick in die Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), VW 2/2020, 78–81.
- Bork, Kevin / Wandt, Manfred, “Utmost" good faith in German contract law, ZVersWiss 2020, 243–254.
- Bork, Kevin / Wandt, Manfred, The modern Guidon de la Mer: the Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), VersR 2019, 1468–1477.
- Bork, Kevin / Wandt, Manfred, Der moderne Guidon de la Mer: die Principles of Reinsurance Contract Law (PRICL), VersR 2019, 1113–1121.
- Eine Auflistung weiterer Publikationen im Rahmen des Projekts finden Sie hier: www.ius.uzh.ch/en/research/pricl/Publications-about-the-PRICL.html